Das hochvirtuose Sonar Quartett und die Kanun-Spielerin Sofia Labropoulou präsentieren Werke von Dimitri Papageorgiou und Stefan Pohlit, die speziell für diese Musiker*innen entwickelt wurden. Die türkische Zither trifft auf das traditionelle Streichquartett und zusammen versprechen sie außergewöhnliche und spannende Klangerlebnisse.
Die Kompositionsaufträge des Sonar Quartetts werden finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung. Das Konzert wird gefördert vom Deutschen Musikrat im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR aus Mitteln der Beauftragten der Bundesrepublik für Kultur und Medien.
Besetzung/Programm
Dimitri Papageorgiou (*1965) Oumuamua für Kanun und Streichquartett
Stefan Pohlit (*1976) eyéo (Streichquartett #5) für Kanun und Streichquartett
Sofia Labropoulou studierte Schlagzeug und byzantinische Musik in Athen, Kanun und osmanische Musik in Istanbul. Seit 2005 unterrichtet sie als Lehrbeauftragte und auf Sommerakademien, u.a. in Griechenland, Mexiko, Algerien und der Türkei. Als Solistin, Komponistin und Gründerin des Eastern Music Orchestra of Ikaria führten sie Auftritte u.a. ins Institut du Monde Arabe Paris, den Budapester Palast der Künste, das Festival Culturel Européen d’Algérie, das Dimitria-Festival Thessaloniki und die Bibliothek von Alexandria. 2013 erschien ihre CD “Butterfly”, 2020 ihr Solo-Album “Sisyphus”. Insbesondere durch die Praxis in freier Improvisation entwickelt sie neue Spieltechniken. Vor diesem Hintergrund konzipierte sie die Musik für den Dokumentarfilm “Georg” des Regisseurs Sotiris Bekas (2019).
Seit seiner Gründung 2006 tastet das Sonar Quartett immer wieder die Ränder der klassischen Musik ab, es erschafft Utopien und improvisiert Klangabdrücke, deren Nachhall schon den Weg zum nächsten notierten Werk nährt. Mit ihrer CD „SONAR“ (Are Verlag), der Komposition „Lunik I“ (Huddersfield Contemporary Music Festival) und „Magma“ (Konzertreihe EVOLUTION) etablieren sich die vier in Berlin lebenden Musiker*innen Susanne Zapf, Wojciech Garbowski, Ian Anderson und Konstantin Manaev seit 2019 zudem als komponierendes Streichquartett, das weit über vermeintliche Genregrenzen hinausgreift, indem es sich auch der eigenen Körper, elektronischer Verstärkung und Verfremdung bedient oder auch bildkünstlerische Werke in Klang verwandelt. Neue Musik geht mit dem Sonar Quartett über das Hör- und Sichtbare hinaus, sie wird für die Spielenden und für die Zuhörer:innen gleichermaßen zu einem taktilen Erlebnis. Auftritte bei Festivals wie London Ears, Gaudeamus Utrecht, Présences Paris, Tage Neuer Musik Zürich, Pan Music Festival Seoul, Festival Musiiki Aika (Finnland), Huddersfield Contemporary Music Festival, Era Schaeffera Warschau, KLANG Kopenhagen Avantgarde Music Festival, Nauriz XXI Almaty (Kasachstan), Festival de Musica de Morelia(Mexiko) und Open Days Aalborg zu Gast. Daneben konzertierten sie bei den Festivals Ultraschall Berlin, MaerzMusik, dem Forum Neuer Musik des Deutschlandfunks, dem Siemens Arts Program, dem Bachfest Leipzig und den Wittener Tagen für neue Kammermusik.
Dimitri Papageorgiou beschäftigt sich mit der fließenden Beziehung zwischen dem Selbst und dem Anderen. Im Mittelpunkt dieser Verhandlung stehen die Konzepte von Erinnerung, Zeit und Wiederholung. Insbesondere das Konzept der Erinnerung – und die Art und Weise, wie wir die Vergangenheit betrachten – wird nicht als getreue Rekonstruktion in nostalgischer Weise wahrgenommen, sondern unter dem Gesichtspunkt ihrer kreativen Dimension, d.h. als eine ständig aktualisierte Rekonstruktion der Vergangenheit aus der Sicht der Gegenwart und durch einen Prozess der ständigen Neuformulierung. Aufführungen auf Festivals und Konferenzen in ganz Europa, Amerika bis nach Korea mit vielen namhaften Ensembles und Orchestern, u.a. mit dem Arditti-Quartett, dem Klangforum Wien, dem Ensemble Reconsil. Er war Gastdozent an Hochschulen in Deutschland, Österreich, den USA, der Türkei und des Iran. Als außerordentlicher Professor unterrichtet er Komposition an der Aristoteles-Universität Thessaloniki.
Oumuamua („Oh-moo-ah-moo-ah“) ist ein hawaiianisches Wort und bedeutet „ein Bote aus der Ferne, der als erster ankommt“ oder „erster entfernter Bote“. So wurde der erste Asteroid interstellaren Ursprungs benannt, der 2017 durch unser eigenes Sonnensystem flog. Laut der Internationalen Astronomischen Union spiegelt der Name „die Art und Weise wieder, in der dieses Objekt wie ein Späher oder Bote ist, der aus der fernen Vergangenheit geschickt wurde, um uns zu erreichen“. Ebendiese Eigenschaft ist, so der Komponist, seiner Vision des Qanun nicht unähnlich ist, da es eher als ein Bote (und nicht als Späher) fungiert in seinem interkulturellen Dialog mit dem westlichen Streichquartett, indem die Botschaft aus der fernen Vergangenheit den Empfänger, aber auch den Boten verändert.
Stefan Pohlit studierte in Basel, Lyon, Karlsruhe und Istanbul. Ab 1999 widmete er sich orientalistischen Studien und besuchte zahlreiche Länder des Nahen Ostens. 2011 promovierte er an der TU Istanbul über das Stimmungssystem des Kanun-Virtuosen Julien Jalâl Ed-Dine Weiss. Als Juniorprofessor unterrichtete er bis 2015 Komposition am Istanbuler Konservatorium für Türkische Musik. Beeinflusst durch die strukturelle Mythologie ebenso wie die lange Bindung an die makam-Tradition, entwickelt er seine Musik aus weiträumigen mikroharmonischen Spannungsprozessen, als Ausdruck eines ebenso globalen wie ökologischen Bewusstseins. 2021 erschien sein erster Roman, „Münzevi Adası” im Heyamola-Verlag Istanbul. Aktuelle Projekte mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, dem hr-Sinfonieorchester, dem Klangforum Heidelberg, dem Trompter Nenad Markovic und dem eigens gegründeten talysh‖pontos project.
EYÉO ist ein Abgesang auf ein Zeitalter, als der Mensch Geist und Materie noch als intrinsische Einheit empfand, aufbauend auf einer wissenschaftlichen Tradition, die von China aus über Mesopotamien und die Ägäis bis nach Europa reichte. Gegenseitige Radikalisierung der darin eingebetteten Prinzipien [Materialismus↔Spiritualismus] hat dieses Gleichgewicht zerrissen, bis nur die Liebe den Menschen neu in seinem Zentrum verankern wird. Als Widmung an das Quartett entspricht die Anweisung über der Partitur – „bol Sonaro“ – dem Adjektiv „bol”, das auf Türkisch soviel wie „ausgiebig, reichlich“ bedeutet. Die Anspielung auf einen ehemaligen Staatschef in unserer brennenden Welt spiegelt der feurig-sehrende Charakter der vorherrschenden Strukturen. Dem Erdelement ritualistisch zugewiesen, ist die Eingangspassage in Rhythmus und Melodie dem Auftritt des Teiresias vor Kreon in Sophokles‘ Antigone nachempfunden:
Zeitströme 2023
Das „ZEITSTRÖME FESTIVAL – Tage für aktuelle Musik“ ist die hauseigene Konzertreihe für zeitgenössische Musik der AKADEMIE FÜR TONKUNST DER STADT DARMSTADT. Dieses Jahr präsentieren sich erneut regionale, nationale und internationale Künstler*innen in Darmstadt-Bessungen im Austausch mit Studierenden und Dozierenden der Akademie und versprechen mit acht Veranstaltungen und 16 Uraufführungen an vier Tagen ein abwechslungsreiches Programm voller spannender neuer Klänge und Ideen.